Als die damalige „Gesamtschule Lünen-Süd“ nach langer und kontrovers geführter Debatte den Namen der Künstlerin Käthe Kollwitz erhielt, war unausgesprochen klar, dass unsere Schule nicht nur einen neuen Namen erhält, sondern hiermit auch eine Verpflichtung eingeht: Das soziale Engagement und das künstlerische Schaffen der Grafikerin und Malerin Käthe Kollwitz sollen zukünftig den Geist und die Atmosphäre dieser Schule bestimmen.
Käthe Kollwitz (geb. Schmidt) wurde 1867 in Königsberg geboren, wo ihr Großvater und später auch ihr Vater als Prediger einer freireligiösen Gemeinde tätig waren. Geprägt durch ein sozialkritisches Elternhaus wurde ihr der Wunsch, eine künstlerische Ausbildung in Königsberg bei dem Radierer und Porträtisten K.Stauffer-Bern zu beginnen, ermöglicht. 1884/1885 führte sie ihre künstlerische Ausbildung an der Künstlerinnen-Schule in Berlin fort und heiratete 1891 dort den Arzt Karl Kollwitz. Den entscheidenden künstlerischen Durchbruch erreichte sie mit den Illustrationen zu Gerhard Hauptmanns Theaterstück DIE WEBER, die ihre soziale Empathie und sozialkritische Haltung spiegeln und ihr gesamtes Werk durchgängig prägen sollte.
Eine reine Atelierkunst ist unfruchtbar und hinfällig, denn was
nicht lebendige Wurzeln fasst, warum soll das sein.
Käthe Kollwitz
Ab 1919 war Käthe Kollwitz Mitglied der Preußischen Akademie der Künste. Sie war die erste Frau, die dort einen Lehrstuhl übernehmen konnte. In ihrem Schaffen, immer verbunden den Menschen in ihrem wirklichen Leben und in ihrer sozialen Not, wurde sie zu einer der bedeutendsten deutschen Künstlerinnen ihrer Zeit.
Die künstlerische Gleichschaltung der Nationalsozialisten traf schon sehr früh Käthe Kollwitz (1933), sie wurde wegen ihrer künstlerischen Themen und deren Darstellung, die nicht in die herrschende nationalsozialistische Ideologie passten, aus der Akademie ausgeschlossen.
Käthe Kollwitz starb am 22. April 1945 in Moritzburg bei Dresden.
Sie zählt auch heute noch zu den bekanntesten deutschen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Sie entwickelte in ihren ernsten und strengen Zeichnungen und Figuren einen zeitlosen Kunststil, der in allen Kulturen – damals wie heute – auch von einfachen Menschen verstanden worden ist und deren Themen von ihrer ursprünglichen Aktualität bis heute nichts verloren haben und auch in der Zukunft Gültigkeit besitzen werden.
Was auf ihren Bildern zu sehen ist, ist nicht schön, aber beeindruckend, nicht aufwändig, sondern schmucklos direkt und damit umso eindringlicher. Ihnen fehlt jede Farbigkeit, sie sind in strengem Schwarz-Weiß gehalten. Es gibt keine überflüssigen Verzierungen, nichts an Linien, was nicht notwendig wäre. Umso ausdrucksvoller ist dagegen die expressive Botschaft. Beispielhaft ist Käthe Kollwitz’ lebenslanger künstlerischer Einsatz für Not leidende Menschen. Denn nur Kunst, ohne eine soziale Aussage zu produzieren, war ihr fremd. Sie schrieb dazu in ihrem Tagebuch 1907: „Reine Kunst ist meine nicht. Aber doch Kunst. Jeder arbeitet, wie er kann. Ich bin damit einverstanden, dass meine Kunst Zwecke hat.“
Die Künstlerin versuchte mit ihren Zeichnungen und Radierungen auf die Missstände der Menschen aufmerksam zu machen, die im damaligen Armenviertel von Berlin, am Prenzlauer Berg, direkt vor ihrer Haustür lebten. Käthe Kollwitz hat sie nicht übersehen, sondern sich ihrer angenommen mit der erklärten Absicht, durch ihre Kunst der Not und dem Leiden dieser Menschen eine Stimme zu geben. Sie schrieb: „Ich will wirken in dieser Zeit, in der die Menschen so ratlos und so hilfsbedürftig sind.“ (Tagebucheintragung s.o.)
Das zweite große Anliegen der Künstlerin – auch dies hat sie ein Leben lang begleitet – ist die beständige Warnung vor dem Krieg und ihr unermüdlicher Einsatz für den Frieden auf der Welt, von dem wir auch heute immer noch viel zu weit entfernt sind. Ihr Plakat „Nie wieder Krieg“ aus dem Jahr 1924 wird bis heute von unzähligen Friedensbewegungen auf der ganzen Welt genutzt, denn es hat angesichts fortdauernder Kriege von seiner Aktualität auch nach fast 100 Jahren noch immer nichts verloren.
Weitere Gründe, Käthe Kollwitz auch heute noch als ein Vorbild zu betrachten, sind ihre Gradlinigkeit und Unbestechlichkeit, mit der sie sich in den politisch so schwierigen Zeiten des Nationalsozialismus nicht hat korrumpieren lassen. Sie hat lieber auf ihre ehrenvolle Position in der Berliner Akademie der Künste verzichtet, als sich auf die Seite der neuen Machthaber zu stellen. Das daraufhin folgende Arbeits- und Ausstellungsverbot hat sie klaglos hingenommen. Denn, so ließ sie verlauten: „Ich selber will und muss bei den Gemaßregelten stehen.“ (Brief an Beate Bonus-Jeep, 1934)
Auch wenn alle Bilder und Figuren der Künstlerin aus den Museen und Galerien entfernt worden sind, geschwiegen hat sie trotzdem nicht, wie man an der Radierung von 1941 erkennen kann, die den Titel trägt „Saatfrüchte dürfen nicht vermalen werden“. Dazu schrieb sie in ihrem Tagebuch: „Diese Forderung ist wie ‚Nie wieder Krieg!’ kein sehnsüchtiger Wunsch, sondern Gebot, Forderung.“ (Tagebucheintrag Dezember 1941)
Das zeigt ihre große moralische Souveränität, die sich weder durch Verlockungen, noch durch Drohungen hat beirren lassen. Ihr Vorbild ist auch für unsere Zeit ein Leitbild. Die bis heute gültig gebliebene Wahrhaftigkeit der Künstlerin zeigt sich darin, dass 1993 die Bronzeskulptur einer trauernden Mutter mit ihrem toten Sohn auf dem Schoß in Berlin in der Neuen Wache, der „Zentralen Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft,“ auf Initiative des damaligen Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl aufgestellt worden ist.
Eindrucksvoll ist auch, dass in der Bundesrepublik über 80 Schulen ihren Namen tragen.
Wir sind stolz, dass wir eine von ihnen sind!
Anlässlich des 25-jährigen Bestehens unserer Schule wollen wir uns nochmals an die durchgängige soziale Gerechtigkeit erinnern, die sich in den Werken von Käthe Kollwitz mahnend ausdrückt. An dieser Tradition möchten und werden wir uns auch in Zukunft orientieren.
Die oben abgebildete Lithographie „Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden“ ist im Käthe-Kollwitz-Museum in Köln ausgestellt.